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Paddeln im Reich der Norppa

Eine Woche Urlaub im Herbst. Ende Oktober, Zeit der Herbsstürme. Was kann man damit anfangen? Ganz einfach: nach Finnland fahren! Der Saimaa See in Ostfinnland liegt kurz vor der russischen Grenze und ist mit ungefähr 4370 km² der viertgrößte natürliche See Europas. Das klingt nach einem sehr großen See – und genau das ist er auch. Oder genauer gesagt: viele große Seen, die durch fjordähnliche Wasserflächen miteinander verbunden sind. Es gibt also nicht (so wie zum Beispiel am Bodensee) die eine große Wasserfläche, sondern etliche Seen und ein Labyrinth aus Durchfahrten, Inseln, Halbinseln und Rinnen mit insgesamt etwa 14500 km Uferlinie. Durch das weit verzeigte System von Kanälen und kleineren Wasserflächen eignet sich dieses Revier bei jedem Wetter und auch bei Starkwind als Paddelalternative. Nur im Winter kann man hier nicht paddeln, da friert der See komplett zu und wird als Straße genutzt.

Neben den geologischen Auffälligkeiten gibt es hier noch etwas anderes ganz besonderes: die Saimaa-Ringelrobbe (auf Finnisch „Saimaannorppa“). Das ist die einzige Süßwasser-Robbenart der Welt und sie lebt ausschließlich hier im Saimaa Gebiet. Wie und warum die Robben hier gelandet sind, darüber gibt es verschiedene Theorien. Die gängigste ist, dass sie am Ende der Eiszeit durch den sinkenden Wasserspiegel vom sich zurückziehenden Meer abgeschnitten wurden, aber im Saimaa Gebiet trotzdem sehr gute Bedingungen vorfanden und sich an das Leben im Süßwasser der ursprünglichen Taiga-Landschaft angepasst haben.

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Eiszeit ist das richtige Stichwort: die Eiszeiten sind es, denen wir diese faszinierende Landschaft verdanken. Durch das immer wieder anwachsen und schrittweise zurückziehen formten die Gletscher tiefe Rinnen im Granit- und Gneisgestein des finnischen Grundgebirges. An vielen Stellen sieht man noch heute die Schleifspuren der Gletscher und auch die runden gefälligen Formen der Gesteinsformationen haben ihren Ursprung in der Bewegung der darüberfließenden eiszeitlichen Gletscher. Aufgrund der geologischen Besonderheiten und der dadurch geformten Ursprünglichen Landschaft hat das Saimaa Gebiet den Status eines UNESCO Geoparks als Gebiet mit wissenschaftlich und landschaftlich bedeutenden geologischen Stätten verliehen bekommen.

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Da auch in Finnland das Jedermannsrecht gilt, das freies Campieren in der Wildnis erlaubt, eignet sich das Saimaa-Seengebiet hervorragend zur Erkundung mit dem Kajak als Gepäcktour. Man kann aber auch – so wie ich aufgrund des zu erwartenden Wetters – ein festes Quartier beziehen. Dann muss man sich jedoch für eine Region des Geoparks entscheiden. Ich habe ich für die sehr dünn besiedelte Region am Lietvesi zwischen den Kleinstädten Mikkeli und Puumala entschieden. Hier ist mit Pistohiekka eine weitere geologische Besonderheit zu finden: ein alter Schwemmfächer eines längst versiegten Flusses, der das Schmelzwasser der sich zurückziehenden Eiszeitgletscher in den entstehenden Saimaa See transportiert hat. In diesem Schwemmfächer haben sich – ähnlich wie in den Ästuaren an der norddeutschen Nordseeküste – große Mengen Sand abgelagert, die jetzt einen großen goldgelben Sandstrand formen. Da der Südwind hier über etliche Kilometer ungebremst wirken und dadurch durchaus einiges an Welle auftürmen kann, wird der Strand Stück für Stück abgetragen und legt die Wurzeln der Kiefern und Birken frei, die die natürliche Ufervegetation bilden.

Ende Oktober gibt es hier keine geöffneten Campingplätze, und so habe ich mir eine Hütte mitten im Wald mit gutem Zugang zum See gemietet, von der aus ich meine ausgedehnten Tagestouren starten konnte.

Schon die Anreise nach Pistohiekka ist ein kleines Abenteuer für sich. Von Travemünde fährt die Fähre nach Helsinki 30 Stunden (immerhin mit kostenloser Sauna an Bord – es ist schließlich eine finnische Fähre!). Die Abfahrt ist um 02:30 Uhr und damit mitten in der Nacht. Dafür ist man morgens um 10:00 Uhr in Helsinki, oder besser gesagt im Frachthafen Vuosaari einige Kilometer außerhalb Helsinkis. Von hier ist man immerhin schnell auf der Autobahn nach Norden, ohne durch die Innenstadt fahren zu müssen. Die Autobahn endet kurz vor Mikkeli und geht in eine Nationalroute (ähnlich zu unseren Bundesstraßen) über. Die Straße führt ab jetzt fast ununterbrochen durch dichten Wald und alle paar Kilometer erinnern einen Schilder mit einem schwarzen Elch auf gelbem Grund daran, dass in diesen Wäldern größere Tiere als unsere heimischen Rehe leben. Dementsprechend ist die Höchstgeschwindigkeit auch durchgehend maximal 80 km/h und an einigen Stellen 60 km/h (manchmal auch „nur“ als Empfehlung oder nur in der Dämmerung). Es stehen oftmals auch erklärende Schilder am Straßenrand. Allerdings ab einige Kilometer nördlich von Helsinki ausschließlich auf finnisch (Helsinki und die Küstenregion im Süden und Westen Finnlands sind offiziell zweisprachig, so dass man auch Schilder auf schwedisch sieht. Da hat man als deutscher zumindest etwas bessere Chancen, sie zu verstehen). Vom Fährhafen nach Pistohiekka benötigt man ungefähr dreieinhalb Stunden mit dem Auto.

Als ich nachmittags in Pistohiekka angekommen bin, habe ich festgestellt, dass die Wahl meiner Urlaubswoche vielleicht doch nicht die allerbeste war. Mit schlechtem beziehungsweise grauem Wetter hatte ich ja gerechnet und habe mich noch gefreut, dass die Vorhersage, die ursprünglich noch Schnee im Angebot hatte, sich bei Temperaturen von tagsüber 5°C bis maximal 8°C einpendelte und auch nachts das Thermometer nicht unter 3°C fiel. Allerdings wurden während der Fährüberfahrt die Uhren von Sommer- auf Winterzeit umgestellt – auch in Finnland. Die Freude darüber, dass ich meine Uhren nicht umstellen brauchte (finnische Winterzeit entspricht der deutschen Sommerzeit) wich allerdings sehr schnell der Erkenntnis, dass das hier bedeutete, dass die Sonne Ende Oktober um ca. 16:00 Uhr untergeht. Und es ab 17:00 Uhr mangels jeglicher Lichtquellen auch wirklich stockdunkel ist. Damit war klar, dass ich morgens kurz nach Sonnenaufgang (07:20 Uhr) auf dem Wasser sein musste, um das Tageslicht optimal auszunutzen. Ausschlafen stand also eher nicht auf dem Programm.

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Ich bin jeden Tag in eine andere Richtung gepaddelt und habe verschiedenste Inseln, Halbinseln und Durchlässe erkundet. Meistens war ich ca. 7 Stunden unterwegs und habe zwischen 17 und 20 Seemeilen zurückgelegt. Das Wetter was durchgängig finnisch-herbstlich: grau in grau mit Wolken, Regen, Nieselregen und Nebel im Wechsel. Einen Abend hat es über Finnland Polarlichter gegeben, doch aufgrund der dichten Wolkendecke blieb mir der Anblick leider dieses Mal verwehrt. Dafür hatte ich den See überwiegend ganz für mich alleine: jetzt im Herbst und unter der Woche waren so gut wie keine Motorboote oder die für die Saimaa Region typischen Holz-Schleppverbände unterwegs (ich habe in fünf Tagen genau zwei Motorboote gesehen). Die Tierwelt hatte den See für sich alleine – jedenfalls bis auf einen einsamen Kajakfahrer. Von der Saimaa-Ringelrobbe habe ich lediglich einmal eine Nasenspitze zu Gesicht bekommen, dafür aber recht dicht am Boot, so dass ich den Atemzug deutlich hören konnte. Dafür konnte ich Singschwäne, Birkhühner, Sterntaucher und andere einheimische Vogelarten beobachten (und hören!). Am Ufer durchsuchte ein Fuchs seelenruhig und völlig ungestört das Grundstück eines Wochenendhäuschens. Und am Himmel zogen die Nonnengänse aus Nordrussland südwärts Richtung Kehdingen. Der alles dominierende Taiga-Wald besteht aus immergrünen Kiefern und Wachholdern sowie zahlreichen Birken, deren goldgelbes Restlaub für schöne Kontrastpunkte zum alles dominierenden Grau von Himmel, Fels und Wasser setzte.

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Anlandestellen gibt es trotz der sehr felsigen Landschaft in großer Zahl und zumindest im Lietvesi Bereich des Geopark Saimaa auch oftmals schöne Sandstrände oder flach abfallende Kieselstrände. Man hat vielfach die Qual der Wahl wo man anlanden möchte. Ich habe mich in den allermeisten Fällen für Strandabschnitte entschieden, wo keine Hütten standen oder Lagerplätze eingerichtet waren. Hier beginnt wenige Meter hinter dem Strand dann die Taiga: offener Wald mit Beeren- oder Heidesträuchern zwischen den hochgewachsenen Kiefern und Birken. Eindrucksvolle über und über mit Flechten bedeckte Felsformationen runden das Bild der undurchdringlichen Wildnis ab. Ein weiterer großer Vorteil im Oktober: beim Anlanden fallen keine Mückenschwärme mehr über einen her, die einem die Pause sonst ziemlich verderben können.

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Nach einer Woche und 81 Seemeilen auf dem Saimaa See bei sehr herbstlichem Wetter ging es für mich wieder leider viel zu früh nach Hause. Wieder 30 Stunden Fährfahrt, die ich mit ausgiebigen Saunabesuchen und dem Schreiben dieses Textes verbracht habe. Und mit der Gewissheit, dass der Saimaa Geopark ein großartiges Paddelrevier ist und es dort noch sehr viel mehr zu entdecken gibt. Vom Schärengarten, der sich die gesamte Finnische Süd- und Westküste entlang zieht ganz zu schweigen. Die Anfahrt nach Finnland ist zwar etwas länger als zu vielen anderen Zielen, aber sie lohnt sich. Und die Finnen machen es einem sehr einfach, sich hier wohl zu fühlen – selbst wenn man so wie ich kein Finnisch kann kommt man mit Englisch und ein paar Brocken Schwedisch sehr gut zurecht.

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Lars Klüser